Ein großes Lebenswerk
Glasmalerei ist jüngst erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Schon auf der Art Cologne 2008 waren einige Kabinettscheiben zu sehen, später machten monumentale Fenstergestaltungen von Markus Lüpertz und Gerhard Richter in Köln diese oft unterschätzte Kunstsparte ein Stück weit populärer.
Doch der neben Georg Meistermann wohl bedeutendste zeitgenössische Glasbildner – ein Künstler von internationalem Rang – lebt seit fast 50 Jahren in Langen/Hessen: Johannes Schreiter.
Der gebürtige Erzgebirgler kam schon früh in den Westen, studierte in Münster, West-Berlin und Mainz, bevor er 1960 einen Lehrauftrag an der Kunstschule Bremen erhielt und drei Jahre später eine Professur für Malerei und Grafik an der Hochschule für bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt am Main antrat.
Gastdozenturen und Vortragsreisen führten ihn nach Großbritannien, in die USA, nach Kanada, Australien und Neuseeland. Als bedeutender Lehrer und frei schaffender Künstler konnte er zahlreiche Preise und Auszeichnungen (u.a. Bundesverdienstkreuz 1979, Theologische Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg 2005) entgegennehmen. Weltweit sind viele seiner Werke im Besitz wichtiger Sammlungen, namhafter Institutionen und Museen.
Schon in den 1960er Jahren hatte Schreiter mit seinen so genannten Brandcollagen, neben Otto Piene und Yves Klein, Kunstgeschichte geschrieben. In wechselnden Ausprägungen hat die Chiffre des organischen Brandmals später auch das glasbildnerische Œuvre immer wieder motivisch wie thematisch befruchtet.
Viele seiner zahllosen Glasfenster und -bilder für öffentliche Gebäude, Kirchen, Synagogen und Kulturstätten haben international Beachtung und Anerkennung gefunden. Sein Renommee verdankt er sowohl einer ganz unverwechselbaren, eigenständigen Bildsprache als auch seiner besonderen Sensibilität im Umgang mit (historischer) Architektur.
Bei den Verglasungen großer Fensterflächen – etwa für das Ulmer Münster 2001 oder für die Dome Mainz (2007) und Augsburg (2010) – geht es dem gläubigen Christen prinzipiell weniger um das Glas als Material, als vielmehr um die immaterielle Qualität des Lichts: „Die Herausforderung des Mediums Glas besteht für mich darin, hier mit einem Material arbeiten zu können, das eben nicht mehr als Materie in Erscheinung treten muss. Ergo bin ich mit der Hervorbringung von Lichtgestalten befasst: Mein Stoff ist sozusagen die Stofflosigkeit.“
Der Gleichklang von ruhiger Geometrie und linearer Spannung, der dem Lebenswerk Johannes Schreiters immanent ist, mag dabei auch auf Grundsätzliches verweisen: Der Künstler versteht unter „Schönheit“ – noch immer – „verantwortete Ästhetik im Dienst der Wahrheit“.
Zum 90. Geburtstag von Johannes Schreiter im Jahr 2020
Christine Jung
Zur Kunst von Johannes Schreiter